Frisch und gsund

Frisch und gsund

Welche Aufregung war es in der Kindheit immer, die Weihnachtszeit zu erleben! Krampus und Nikolaus hielten uns schon in Atem, aber wenn es dann auf den Heiligen Abend zuging, konnten wir vor lauter Aufregung kaum noch schlafen.

Dann waren sie da, der Heilige Abend mit seinem Zauber und der Christ- und Stefanietag mit all dem guten Essen, den Spielsachen und den Verwandtenbesuchen. Und dann folgte für uns Kinder bereits der nächste Höhepunkt. Der 28. Dezember kam und somit der Tag der unschuldigen Kinder. Dass man dabei an die unschuldigen Kinder denkt, die König Herodes zum Opfer fielen, spielte für uns keine große Rolle. Was zählte, war der Spaß, den wir daran hatten, endlich einmal den Erwachsenen den Hintern zu versohlen. Bereits am Vorabend stapften wir durch den Schnee zum Waldrand, um uns eine Haselnussrute abzuschneiden. Die – meist steif von der Kälte – wurde in der Kuchl über dem Herd platziert, damit sie aufgehen konnte und weich wurde. Der Abend davor diente der Routenplanung, denn schließlich ging es darum, so viele Nachbarn wie möglich abzulaufen und ja niemanden zu vergessen. Mehrmals wurde die Mutter vor dem Schlafengehen daran erinnert, dass sie uns ja weckt, sobald der Tag anbricht, denn wir durften keine Sekunde versäumen oder – Gott bewahre – gar verschlafen.

Meist reichte es am nächsten Morgen bereits, dass die Tür geöffnet wurde. Kein Jammern von wegen „noch müde“ oder ein paar Minuten Nachschlafen. Raus aus dem Bett und rein ins Gewand – es war Zeit, dass die unschuldigen Kinder ausrückten. Lästig war da noch, dass die Mutter darauf bestand, dass wir ein Stück Brot essen und ein paar Schluck vom Malzkaffee zu uns nehmen. Dann gab es noch die Ermahnungen von wegen schön freundlich sein, ordentlich das Sprücherl aufsagen und den Dank nicht vergessen, wenn wir etwas bekommen. Erst dann durften wir unsere Ruten nehmen, raus bei der Labentür und wieder zurück, weil wir Haube und Handschuhe vergessen hatten. Dann ging es endlich den Hohlweg bergab. Wir folgten jenem Pfad, der für uns als „Schulwegerl“ freigemacht worden war. Bereits die erste Nachbarin war ein süßes Erlebnis. Sie war schon alt und vor vielen Jahren war ihre Tochter in die Schweiz ausgewandert. Das hatte den Vorteil, dass sie von dort immer Schokolade geschickt bekam und wir hofften darauf, dass auch diese Weihnachten wieder ein Geschenk für sie gekommen war, das sie dann mit uns teilte. Einmal ordentlich gegen die Tür gepumpert und schon traten wir ein, auf ein Herein hat damals niemand gewartet. Ein paar sanfte Streiche mit der Rute, denn wir wollten die alte Nachbarin ja nicht verärgern und unser Sprücherl dazu: „Frisch und g’sund, frisch und g’sund, lang leben und g’sund bleiben, nix klumts’n umd nix klog’n bis i wieda kimm schlog’n.“

 

 

 

Und siehe da, schon griff sie nach einer Schachtel, die da auf ihrer alten Nähmaschine stand, machte sie auf und etliche Tafeln Schweizer Schokolade lachten uns entgegen. Natürlich gab es nur je eine Rippe für mich und meinen Bruder, aber wir wussten, dass uns dieser Schatz in den nächsten Wochen noch viele Heimwege von der Schule versüßen wird. Ein paar Groschen kamen auch noch dazu und wir hatten unsere Arbeit verrichtet. Der nächste Nachbar war nicht weit weg, im Dauerlauf ging es dorthin. Er war ein lieber Kerl, der uns Kinder sehr mochte, seine Frau hingegen war eine, die gern und viel semperte, nicht nur mit ihm, sondern auch mit uns, wenn wir allzu laut an ihrem Hof vorbeigingen. Ihm setzten wir unsere Wünsche ganz leicht auf sein Hinterteil, bei ihr ließen wir die Rute schon etwas mehr schnalzen und als wir sahen, dass die Schläge wegen ihrer dicken Kleidung ihre Wirkung verfehlten, ging der letzte Hieb halt auf die Wandeln und den spürte sie sehr wohl. Grantig funkelte sie uns an, wir wurden rot und ihr geliebter Gatte konnte sich vor lauter Lachen nicht halten. „Göld gibt’s koas fia eich Frotzn“ hieß es, aber einen Keks durften wir nehmen. Etwas enttäuscht zogen wir wieder ab, doch siehe da, beim Hinausgehen steckte der Nachbar einem jeden von uns einen Schilling zu und das war viel Geld, denn dafür konnte man 10 Stollwerk kaufen.

Drei Häuser gab es noch auf dieser Strecke, dann mussten wir zurücklaufen, um auf die andere Seite des Berges zu gelangen. Manches Mal gab es etwas Süßes, dann wieder etwas Kleingeld. Zum Trinken oder Verschnaufen hatten wir keine Zeit, denn es lagen noch viele Häuser vor uns und irgendwann überschnitt sich unsere Route mit den Nachbarsburschen, die aus der Gegenrichtung gelaufen kamen. Jetzt kamen die mageren Häuser, denn hier waren wir nicht die Ersten. Je nachdem, wie lieb uns eine Familie war, fielen unsere Schläge aus, aber die Wünsche waren immer ehrlich gemeint und natürlich mussten wir auch einen Neujahrsgruß von daheim bei jedem ausrichten. Nur noch zwei Häuser und die mussten wir vor 9 Uhr schaffen, denn dann war es mit den unschuldigen Kindern vorbei und wir wussten: Wer zu spät kommt, kommt in den Backofen. Zumindest erzählten uns das die Erwachsenen und deshalb hoben wir uns die Eltern und Großeltern immer für den Schluss auf, denn da war es egal, wenn wir zu spät kamen. Müde zogen wir unsere durchnässten Sachen aus und die Mutter klopfte den festgefrorenen Schnee aus unseren Schuhen. Jetzt gab es heißen Tee. Während wir unsere Taschen leerten, in der rechten war das Geld und in der linken alles, was wir sonst so bekommen hatten, erzählten wir, wie abenteuerlich unsere Reise war. Selbst Oma und Opa mussten lachen, als wir schilderten, welche Nachbarn oder Nachbarinnen wir ordentlich „druchwachselt“ hatten und immer wieder kam der Kommentar: „Dei hot des eh vadient“. Dann wurde die Beute begutachtet und brüderlich geteilt. Es war ein guter Tag für uns und schon an ihm sprachen wir darüber, was wir im nächsten Jahr noch besser machen können.