Erntedank - die nächste Ausfahrt

Erntedank - die nächste Ausfahrt

Auf der Autobahn des Lebens führt die nächste Ausfahrt zur Rast. Hierbei spreche ich nicht vom langwierigen Verweilen in tatenlosen Zuständen, sondern einfach von der Bereitschaft, sich durch die bewusste Wahrnehmung der uns umgebenden Wunder einen Augenblick der Ruhe zu gönnen.

Es ist früh am Morgen, sehr früh, denn die Sonne beginnt gerade erst langsam über jener fernen Hügelkette emporzusteigen, die meinen Blick ins Weite begrenzt. Der Tatendrang, das Tunmüssen, führen mich um diese Zeit hinaus und die Sorge, dass der Tag wieder einmal zu kurz ist, ich zu wenig produktiv bin und somit jene Ansprüche, die ich im Namen aller anderen an mich stelle, nicht erfüllen kann.

Verschlafen liegt das Tal vor mir und die Wälder atmen in leichten Nebelschwaden den erlösenden Regen der letzten Nacht aus. Die ersten Sonnenstrahlen treffen auf mein Gesicht. Sanft spüre ich beinahe jeden Einzelnen von ihnen, wie sie mich streicheln, mit mir spielen und mich wärmen. Das stärker werdende Licht blendet mich und doch habe ich das Gefühl, als ob dieser Schein durch meine Augen den ganzen Körper erleuchtet und mich selbst zum Strahlen bringt. Ein warmes, vertrautes Gefühl durchdringt mich. Ein Zustand, der mich spüren lässt, dass das Hier und Jetzt wichtig sind. Eine Gedankenstraße, die unbefahren vor mir liegt und darauf wartet, dass ich mich auf eine – auf meine Reise begebe … weitab vom Hauptverkehr aus geschäftlichen Zwängen, Beschränkungen und Pflichten. Fernab von der Einbildung, mit zu müssen oder wegen dem aufoktroyierten Selbstbetrug mit zu dürfen.

Hier und jetzt zählt einzig das Wollen – der ureigenste Wunsch, das zu tun, was mir guttut, das Fokussieren auf jene Taten, die meinen Wunden Heilung und meinem Leben eine Wohltat verschaffen. Hierbei geht es nicht ums Aussteigen, ums Abschotten oder ums sich von allem Fernhalten; es zählt allein, ob wir über uns bestimmen lassen oder selbst Einfluss nehmen. Ob ich die Autobahn suche, mit allen ihren Geschwindigkeiten, Gefahren und dem Einordnenmüssen, oder ob ich die Landstraße wähle, es ruhiger angehe und so die Zeit habe, das Drumherum zu genießen. Was tut mir wirklich gut? Und dieser Augenblick so früh am Morgen tut es.Taunasses Gras zwischen meinen Zehen, reinge-waschene Luft, die meine Lungen bis zum Anschlag füllt, wärmendes Licht, das jede Faser und jede Pore meines Körpers mit Energie durchdringt und das selbst den finstersten Winkel meiner Sorgenfalten ausleuchtet. Dieser Augenblick, der mich unvermittelt vom zwanghaften Tunmüssen zum Leben – Erleben führt. Ich finde Sinn und Erfüllung; in dieser einen Sekunde blicke ich weit hinaus, um in den Weltenspiegel zu schauen, um dort das Spiegelbild meiner Selbst zu entdecken. Ein Moment, der Kraft, Energie und Inspiration schenkt, um sich danach wieder dem Alltag zu widmen. Die Reise geht weiter.

Was getan werden muss, ist zu tun, nur sollte der Fokus auf das Ziel und nicht auf den Weg gerichtet sein. Unser täglicher Rhythmus mit allen seinen Zwängen und Verpflichtungen ist mit einem Gebet vergleichbar. Dabei verehren wir nur allzu oft das Weltliche, sprich eine Statue oder ein Bild, und vergessen dabei, dass es um den Geist, um das Allumfassende, Verbindende geht, wodurch das Greifbare und Ersichtliche erst ihre Substanz erhalten. Es ist immer noch sehr früh am Morgen, das Land schläft großteils noch und mein kleiner Morgenausflug ist beendet. Jetzt werfe auch ich mich wieder ins Getriebe der Zeit, auf die Straße des Tagwerkes. Nur dieses Mal ein wenig leichter, ein wenig gelassener. Getragen von der Gewissheit, dass wirklich Wertvolles einfach da ist und es nur an meiner Bereitschaft liegt, es anzunehmen. Ich habe bekommen, angenommen und weitergegeben, das ist mein Erntedank.